Reclaim the streets! Eine Stadt für Alle.

Dass wir in einer patriarchalen Welt leben, ist mittlerweile linker Grundkonsens. Doch die patriarchalen Strukturen waren nie ein reines soziales Konstrukt, sondern manifestieren sich in unserer physischen Umwelt: Das Patriarchat plant und baut Städte und im Gegenzug festigen die Städte das Patriarchat. Stadtplaner*innen und Architekt*innen (beide primär männlich) orientieren sich an stark patriachal gefärbten Konzepten und Theorien. Diese werden weitgehend als objektiver und wissenschaftlicher Konsens angesehen, vernachlässigen aber an vielen Stellen Perspektiven, welche nicht cis-männlich sind. Dies betrifft auch Dresden.

Die Straßen unserer Stadt sind für den Mann gemacht. Unsere gesamte Infrastruktur baut auf dem veralteten Rollenbild des lohnarbeitenden Mannes und der pflegenden Hausfrau auf. Diese muss viele Wege, meist mit dem Öffentlichen Verkehr oder zu Fuß, bestreiten, um Kinder zur Kita oder Schule zu bringen, Einkäufe zu erledigen und selbst Arbeiten zu gehen. Der Kinderwagen macht dies noch komplizierter, denn für Kinderwägen sind auf Straßen und in Bussen meist kein Platz. Im Kontrast muss der “Lohnarbeiter” “nur” von Zuhause (mit dem Auto) zur Arbeit und zurück. Und dies darf er im Winter auf schneegeräumten Straßen, während die erst später geräumten Fußwege durch Glatteis und Schnee gefährlich bleiben. Diese Rollenbilder bauen darauf auf, dass die Frau generell eigentlich garnicht mobil sein muss, sondern sich nur Zuhause um Kinder und Küche kümmern muss, während der Mann das Geld Nachhause bringt. Selbstredend sind diese Rollenbilder bei Weitem veraltet, aber es ist weiterhin Grundlage unserer Städte und benachteiligt jetzt alle Personen, welche sich um die Care-Arbeit in unserer Gesellschaft kümmern und durch unseren modernen Stadtbau erheblich benachteiligt werden.

Ein weiterer Aspekt ist die Angst. FINTA*s1 haben im öffentlichen Raum weit mehr Angst als Männer. Und obwohl die größte Gefahr vor Gewalt für FINTA*s statistisch im eigenen Zuhause steckt, muss es unser Anliegen sein, dass der öffentliche Raum für alle Menschen ohne Angst nutzbar ist. Angsträume dienen hierbei der gesellschaftlichen Disziplinierung von FINTA*s. Ein cis-Mann wird nie hinterfragt, wenn er alleine durch die Stadt läuft, während von FINTA*-Personen stets (mindestens unterbewusst) die Begleidung von weiteren FINTA*s oder eines Mannes erwartet wird, um mögliche Gefahren abzuwehren. Ziel von feministischer Stadtplanung muss deshalb eine so weit wie möglich gewalt- und angstfreie öffentliche Stadt ermöglichen, gleichwohl in voller Einsicht, dass patriarchale Gewalt erst entgültig durch die Zerstörung der patriarchalen Gesellschaft möglich ist.

Aber über wen reden wir in der feministischen Stadtplanung überhaupt? Über die Frau. Aber welche? Cis? Weiß? Heterosexuell? Mittelalt? Mittelschicht? Ohne Behinderung? Unser intersektional-queerfeministisches Verständnis muss alle marginalisierte Gruppen unserer Gesellschaft und ihre Bedürfnisse im Blick behalten. Denn wo durch eine Maßnahme die Stadt für eine marginalisierte Gruppe angenehmer und sicherer gestaltet wird, wird eine andere marginalisierte Gruppe gegebenenfalls mehr Angst und Gefahren ausgesetzt. In diesem Rahmen wird mehr Polizei eventuell das Sicherheitsgefühl von weißen cis-Frauen erhöhen, aber Women of Colour werden mehr möglicher polizeilichen Repression ausgesetzt. Deshalb muss unsere feministische Stadtplanung immer intersektional sein!

Wir fordern deshalb folgende Maßnahmen, um Dresden feministischer und intersektionaler zu gestalten:

Der ÖPNV muss ausgebaut werden. Neben einem generellen Ausbau der Bus- und Bahnlinien muss die Taktfrequenz von Bus und Bahn in der Nacht erhöht werden. Auch muss das Ziel sein, an jeder Haltestelle digitale Anzeigen mit den aktuellen Abfahrtszeiten einzurichten. Weiterhin muss beim Ausbau von Haltestellen und der Anschaffung von Bussen und Bahnen auf alle Bedürfnisse geachtet und es müssen alle möglichen physischen Barrieren abgebaut werden. Und es muss der Anruflinientaxi-Service “alita” der DVB stark ausgebaut werden, da er derzeit nur auf dem Papier eine gute Idee ist.

Das Bike-Sharing mittels MobiBike muss auch erweitert werden! Bike-Sharing ist für Menschen, welche durch Angsträume z.B. Nachhause müssen, eine gute Möglichkeit, diese Strecke schnell zu überbrücken. Deshalb sollte an jeder ÖPNV-Haltestelle ein MobiPunkt eingerichtet und dabei sichergestellt werden, dass an diesen auch genügend MobiBikes zur Verfügung stehen, vor allem Nachts. Auch müssen entsprechen die Fahrrad-Rückgabegebiete ertweitert werden.

Vor allem Menschen, die Care-Arbeit leisten, würden stark von einem Dresden der kurzen Wege profitieren. Hier werden alle Orte zur Stillung menschlicher Bedürfnisse (Wohnung, Arbeit, Einkauf, …) zu Fuß, mit Fahrrad oder ÖPNV innerhalb von 15 Minuten untereinander erreichbar sein. Dieses Konzept verlangt auch, dass entsprechend Dresden autofreier wird. Deshalb fordern wir auch die Einrichtung von autofreien Virteln, mehr Fahrradstraßen und mehr Fahrradabstellmöglichkeiten.

Aus unserer materialistischen Analyse heraus müssen wir FINTA*-Personen bei der Care-Arbeit unterstützen. Ein Aspekt ist, dass das Netz an Kitas ausgewogen und gut verteilt ausgebaut werden muss. Weiterhin müssen FINTA*s im Bereich Wohnen unterstützt werden. Es braucht mehr günstigen sozialen Wohnraum. Auch muss bei Neubauten von heteronormativen Wohnkonzepten abgekommen werden, damit Wohnungen den Bedürfnissen von allen Menschen in allen möglichen Wohnkonstellationen gerecht werden.

Damit sich FINTA*-Personen in der Öffentlichkeit sicherer fühlen, müssen mehr öffentliche Räume zum kurzen Aufenthalt eingerichtet werden. Diese können z.B. Cafés sein, müssen aber klar kostenlos und ohne eine Verpflichtung zum Kauf von Produkten sein. Weiterhin benötigt es mehr öffentliche Toiletten, mehr Sitz- und Verweilmöglichkeiten und mehr Mülleimer. Die öffentlichen Toiletten sollen hierbei für alle Geschlechter offen und barrierefrei sein. Damit trotzdem ein gefühlter Savespace sichergestellt ist, eignen sich hierfür Einzeltoiletten mit Toilette und Waschbecken, die vollkommen abschließbar sind. Zusätzlich ist es notwendig, dass alle öffentlichen Toiletten und Toiletten öffentlicher Einrichtungen kostenlose Menstruations- und Hygieneartikel zur Verfügung stellen.

Vor allem für die Nacht müssen mehr Maßnahmen ergriffen werden, damit sich FINTA*s und andere marginalisierte Gruppen sicherer fühlen können. Eine effiziente Beleuchtungsstrategie muss hierbei eine Maßnahme sein. Weiterhin können Apps zur schnellen Benachrichtigung von lokalen Hilfestellen helfen. Auch Heimwegtelefone, welche Menschen beim Heimweg telefonisch begleiten, müssen ausgebaut werden. Zur Prävention muss Dresden auch eine Öffentlichkeitskampagne zu und Bildungsmaßnahmen gegen sexualisierte Gewalt und Übergrifflichkeit starten, um hierfür in der breiten Stadtgesellschaft zu sensibilisieren.

Die Stadt muss für Opfer sexualisierter Gewalt in der Öffentlichkeit, z.B. Bahnhöfen und in der Innenstadt, sichere Rückzugsorte mit Awareness-Teams und Sozialarbeiter*innen einrichten, welche Betroffenen stets schnelle Unterstützung geben können. Auch bei öffentlichen Veranstaltungen wie Konzerten und Stadtfesten muss künftig ausreichende Awareness-Arbeit sichergestellt werden. Die Stadt soll hierfür sich und externe Betreiber*innen von öffentlichen Veranstaltungen zu Awarenesskonzepten verpflichten!

Auch die Sichtbarkeit von FINTA*s in der Öffentlichkeit gehört zu einer feministisch-intersektionalen Stadt dazu. Deshalb fordern wir, dass es mehr Denkmäler von und mehr Straßen-, Schul- und Unigebäude-Benennungen mit FINTA*-Personen gibt.

Bei allen Maßnahmen muss aber auch sichergestellt werden, dass FINTA*s ihre Interessen artikulieren können. Hierfür wäre die Einrichtung von kommunalen FINTA*-Plattformen eine Möglichkeit. Natürlich sollten aber nicht nur FINTA*s dafür verantwortlich sein, damit ihre Perspektiven stets eine Rolle spielen. Es müssen FINTA*-Perspektiven auf jeder Agenda stehen. Hierbei eignet sich ein detailliertes intersektionales Gendermainstreaming bei jedem Stadtratsbeschluss. Auch bei Bürger*innenbeteiligungen, z.B. Online-Anfragen, welche eindeutig niedrigschwelliger und öfter geschehen müssen, müssen klar Marginalisierungskriterien abfragen, welche auch in der Auswertung entsprechenden Stellenwert erhalten. Zuletzt hilft aber keine Umfrage, Beteiligungsmöglichkeit und kein Beirat, wenn solange die entscheidenden Personen mehrheitlich cis-männlich sind. FINTA*-Personen müssen in kommunale Entscheidungspositionen! Hierfür sehen wir auch eine Geschlechterquote bei den Kommunalwahlen und den kommunalen Ämtern als notwendig.

[1] FINTA* = Frauen sowie Inter, Nicht-Binäre, Trans- und Agender Personen (sowie weitere Menschen, die sich nicht mit den gesellschaftlichen Kategorien männlich/weiblich identifizieren)

Begründung

Quellen bzw. Lesenswertes:
Leslie Kern: Feminist City (Unrast Verlag)
Caroline Criado-Perez: Unsichtbare Frauen. Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert (btb Verlag)
Zeit Online: https://www.zeit.de/mobilitaet/2019-09/staedteplanung-maenner-geschlechtergerechtigkeit-berlin-bruessel-barcelona