Wenn nicht jetzt, wann dann? Bekenntnis zu einem intersektionalen Queerfeminismus

In den letzten Jahren hat sich die gesellschaftliche Debatte um Geschlecht, Sexualität und Gleichstellung immer weiter ausdifferenziert und komplexe Zusammenhänge aufgezeigt. Immer mehr Menschen erkennen die Notwendigkeit von Inklusion und Gleichberechtigung an und fordern eine konsequente Bekämpfung von Diskriminierung in all ihren Formen. Das Konzept des intersektionalen Queerfeminismus hat sich dabei als wichtige und notwendige Perspektive etabliert.

Geschlechtergerechtigkeit und die Überwindung von Diskriminierung sind zentrale Anliegen der Jusos. Als Jungsozialist*innen setzen wir uns mit Nachdruck für unsere Kernforderung einer inklusiven, gerechten und solidarischen Gesellschaft ein. Dies ist in unseren Augen nur durch eine konsequent intersektionale Perspektive in unserer Gesellschaft erreichbar. Für uns ist klar, dass der historisch gewachsene Feminismusbegriff längst überholt und nur mehr ein Oberbegriff für eine Vielzahl politischer Strömungen ist. Das muss sich auch in unserem feministischen Grundverständnis und auf unsere politischen Arbeit widerspiegeln. Feminismus darf kein alleiniger Kampf für das weiße cis-hetero-weibliche Geschlecht sein, sondern muss sich für Alle einsetzen, die tagtäglich unter den patriarchalen Diskriminierungen und weißen Machtstrukturen leiden müssen. Wir Jusos bekennen uns klar zu einem intersektionalen Queerfeminismus als Grundlage unserer politischen Arbeit.

Intersektionalität

Als Jusos verstehen wir intersektionalen Queerfeminismus als einen unverzichtbaren Grundsatz, um die Komplexität von Diskriminierung und Unterdrückung zu erfassen und gegen diese vorzugehen. Intersektionalität bezieht sich auf die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Formen von Diskriminierung, wie Geschlecht, race, ethnischer Zuschreibung, sozioökonomischem Status, Sexualität, Behinderung sowie Beeinträchtigungen und anderen sozialen Merkmalen. Ein intersektionaler Queerfeminismus berücksichtigt all diese Kategorien und deren Einfluss auf individuelle und gesellschaftliche Machtstrukturen.

Uns ist bewusst, dass Personen in all diesen gesellschaftlichen Zuschreibungen unterschiedlich positioniert sind und basierend auf diesen Positionierungen unterschiedliche Privilegien und Erfahrungen mit Diskriminierung haben. Wir setzen uns deshalb dafür ein, dass der Queerfeminismus ausnahmslos intersektional gedacht wird, um die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Diskriminierungsformen und -merkmalen besser zu verstehen und gegen diese vorzugehen. Nur so können wir die Arbeit gegen Diskriminierung angehen, ohne selbst weitere Diskriminierungsmomente zu schaffen.

Die Vielfalt der Lebensweisen und Identitäten von FINTA* (Frauen, inter, nichtbinäre, trans und agender Personen, sowie weitere nicht cis-männlich positionierte Personengruppen) muss nicht nur toleriert, sondern auch akzeptiert und vor allem wertgeschätzt werden. Wir wollen sicherstellen, dass jede Person in ihrer individuellen Entfaltung unterstützt wird und dass Diskriminierung und Ausgrenzung aktiv bekämpft werden. Hierbei ist uns bewusst, dass es immer noch viele Baustellen gibt, insbesondere in Bezug auf die Anerkennung von trans , agender, inter und nichtbinärer Personen sowie von queeren Menschen aus der BIPoC Community (Black, Indigenous, People of Colour) und FINTA* mit Behinderung, auch weil diese Mehrfachdiskriminierung ausgesetzt sind.

Zu unserem intersektionalen Queereminismus gehört auch die materialistische Analyse. Wir leben in einer patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft, die mehrheitlich noch in binären Strukturen denkt und die Hälfte aller Menschen als weiblich liest. Diese gesellschaftlich weiblich gelesenen Menschen werden aufgrund ihres “weiblichen” Aussehen, Reden und Agieren gewertet sowie in allen gesellschaftlichen Kontexten unterdrückt und ausgegrenzt und damit sozioökonomisch diskriminiert. Zu dieser Analyse gehört für uns auch dazu, dass von dieser materialistischen Diskriminierung nicht nur cis-Frauen betroffen sind, sondern verstärkt auch Menschen, die eben nicht den gesellschaftlich binären Kategorien zugehören. Während wir jedes Denken in binären Strukturen ablehnen und für die Aufhebung aller sozialen Geschlechterdifferenzen kämpfen, erkennen wir die bestehenden materiellen Verhältnisse und bekämpfen sie nach unserem intersektionalen Verständnis in gleichem Maße.

Queerfeminismus

Wir verstehen Queerfeminismus als eine Perspektive, die Geschlechterverhältnisse als Teil gesellschaftlicher Machtstrukturen betrachtet und die Überwindung von Diskriminierung und Ungleichheit in all ihren Formen fordert. Queerfeminismus ist dabei ein Kampf für alle Menschen die unter patriarchalen und weißen Machtstrukturen und Diskriminierungsformen leiden. Darunter zählen für uns alle FINTA*.

Für uns ist dabei ein Feminismus, der sich nicht für diese Personengruppen einsetzt, ihnen ihre körperliche und sexuelle Selbstbestimmung, ihre Lebensrealität und Identität abzusprechen versucht, kein Feminismus. Wir positionieren uns klar gegen TERFs (trans-exclusionary radical feminists), die Trans-, Nichtbinären-, Agender- und Inter-Personen ihre Identität absprechen und somit Diskriminierung und Ausgrenzung weiterhin fördern. Die Positionen, die sie Vertreten, haben in unserem Queerfeministischen Grundgedanken und in unserem Verband keinen Platz und werden von uns nicht toleriert.

Dabei erkennen wir auch an, dass ein intersektionaler Queerfeminismus nicht als eine feste Theorie oder ein dogmatisches Konzept betrachtet werden kann. Vielmehr sehen wir Queerfeminismus als eine fortlaufende Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Machtstrukturen und ihren Auswirkungen. Queerfeminismus ist für uns deswegen untrennbar mit anderen Kämpfen verbunden, wie dem Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus, Ableismus und Klassismus. Denn die Diskriminierungserfahrungen von Menschen sind oft miteinander verknüpft und müssen daher gemeinsam bekämpft werden. Wir sind uns bewusst, dass wir in dieser Auseinandersetzung immer wieder dazu lernen und uns weiterentwickeln müssen.

Intersektionaler Queerfeminismus bei den Jusos

Dies bedeutet auch, dass wir uns intern verändern müssen. Wir müssen uns mit Diskriminierung und Machtstrukturen innerhalb unserer eigenen Organisation auseinandersetzen und konsequent an ihrer Überwindung arbeiten. Wir wollen in unserer politischen Arbeit Empowerment fördern und Diskriminierungen entgegenwirken.

Deshalb fordern wir auf allen Ebenen der Jusos:

Weiterbildung
Die Jusos bekennen sich aktiv zu einem intersektionalen Queerfeminismus als Grundlage unserer politischen Arbeit. Dazu gehört auch die Fortbildung der Mitglieder zu diesen Themen. Denn nur durch eine fundierte Wissensbasis können wir eine wirklich inklusive, gerechte und solidarische Politik erreichen. Wir setzen uns daher dafür ein, regelmäßig Workshops, Schulungen und Seminare zu den Themen Queerfeminismus und Intersektionalität anzubieten und diese in unserer politischen Arbeit zu verankern. Durch die Sensibilisierung und Aufklärung unserer Mitglieder wollen wir sicherstellen, dass Diskriminierung und Ungleichheit in all ihren Formen erkannt, als solche wahrgenommen und aktiv bekämpft wird. Diese Workshop-Konzepte müssen dabei so gestaltet werden, dass sie für alle zugänglich sind.

Empowerment
Die Jusos setzen sich aktiv dafür ein, Empowerment, Partizipation und Diversität in ihrer politischen Arbeit zu fördern. Wir sind der Überzeugung, dass nur durch eine breite Beteiligung verschiedener Stimmen und Perspektiven eine inklusive und gerechte Politik möglich ist. Deshalb fordern wir nicht nur eine Förderung dieser Werte, sondern setzen uns auch aktiv dafür ein, dass sie in unserer politischen Arbeit umgesetzt werden.

Konkret bedeutet dies, dass wir in unseren Gremien und Veranstaltungen darauf achten, dass Menschen verschiedener Hintergründe und Identitäten vertreten sind und sich gleichermaßen einbringen können. Marginalisierte Personen sollen dabei in ihrer Autonomie, Stärkung von Eigenmacht und Selbstbefähigung besonders unterstützt werden. Wir wollen Räume schaffen, in denen sich alle gehört, wertgeschätzt und vor allem sicher fühlen. Dazu gehört auch eine Sensibilisierung für diskriminierender Strukturen und eine konsequente Bekämpfung dieser.
Als Jusos sind wir uns bewusst, dass wir uns ständig weiterentwickeln müssen, um diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Deshalb setzen wir uns für eine kontinuierliche Fortbildung unserer Mitglieder auf allen Ebenen ein, um ein besseres Verständnis für Empowerment, Partizipation und Diversität zu erreichen.

Nur durch das aktive Empowerment von marginalisierten Gruppen können wir ihren Zielen Gehör verschaffen und gemeinsam mit ihnen dafür kämpfen. Beim Kampf gegen Diskriminierung muss es immer unser Eigenanspruch sein, an der Seite derer zu stehen, die unter diesen Diskriminierungen leiden und nicht von oben herab Politik für sie umsetzen zu wollen. Denn durch letzteres würden wir weiterhin Diskriminierung fördern und wichtige Perspektiven außer Acht lassen.

Interne Strukturen auf Diskriminierung prüfen
Eine regelmäßige Überprüfung der internen Strukturen und Prozesse auf Diskriminierungen und notwendigen Antidiskriminierungsmaßnahmen sind für uns als Jusos von zentraler Bedeutung. Wir wollen sicherstellen, dass unsere Organisation nicht nur theoretisch inklusiv und divers ist, sondern Diskriminierung aktiv bekämpft wird, sodass beides auch praktisch erlebt und gelebt werden kann. Dies erfordert, dass wir uns kontinuierlich mit unseren eigenen Strukturen und Prozessen auseinandersetzen und diese auf mögliche diskriminierende Elemente untersuchen. Dieser kontinuierliche Prozess der Reflexion und Verbesserung ist für uns als Jusos von großer Bedeutung, um eine inklusive und diskriminierungsarme politische Arbeit zu gewährleisten. Unsere Aufgabe als Verband ist es dabei diese Selbstreflexion durch regelmäßige Fortbildungen und Awarenessworkshops voranzubringen und unsere Mitglieder zu Sensibilisieren. Die Aufgabe der Selbstreflexion und der Bildung dirkriminierungsarmer Räume darf dabei nicht (nur) auf den Schultern der Betroffenen lasten, sondern muss unser aller Anspruch sein.

Umgang mit diskriminierendem Verhalten im queerfeministischen Kontext
Unser Anspruch als Jusos ist es, für all unsere Mitglieder einen Safer Space darzustellen. Dies geht nicht, ohne klare Kante gegen solche Personen zu zeigen, die sich diskriminierend äußern oder verhalten. Dabei ist es egal, ob dieses Verhalten sich innerhalb oder außerhalb unserer Veranstaltungen ereignet. Die Anwesenheit von Menschen, die diskriminierendes Verhalten aufzeigen, gefährdet den Safer Space der Jusos und hält Menschen aus Angst vor Diskriminierung davon ab, unsere Veranstaltungen zu besuchen und politisch mitzuwirken.

Dafür brauchen wir einerseits starke Awareness-Teams, Präsidien und Moderationen auf allen Veranstaltungen, die schnell und bestimmt, im Ermessen von Betroffenen, auf diskriminierendes Verhalten reagieren und diesem keine Plattform auf unseren Veranstaltungen geben. So dürfen die vorher genannten jederzeit einen Redebeitrag unterbrechen, wenn es zu diskriminierenden Verhalten kommt und sollen sich aus ihrer für die Veranstaltung wichtigen Rolle klar gegen dieses Positionieren.

Im Falle von diskriminierendem Verhalten im queerfeministischen Kontext werden wir dieses Verhalten nicht tolerieren und angemessene Maßnahmen ergreifen. Wir erwarten von Personen, die vom Awareness-Team oder den Awarenessbeauftragten festgestelltes diskriminierendes Verhalten im queerfeministischen Kontext gezeigt haben, dass sie dieses Verhalten moderiert aufarbeiten und reflektieren. Dies kann durch verbands- und parteiinterne Workshops oder Angebote unserer Partnerorganisationen passieren. Der Prozess wird durch Awareness-Beauftragte begleitet. Ohne eine erfolgte Aufarbeitung und Reflektion sind diese Personen nicht auf unseren Veranstaltungen willkommen. Wir erwarten von wählenden Gliederungen, dass sie keine Personen in Vorstände und Delegationen wählen, die durch entsprechendes Verhalten aufgefallen sind und dieses nicht aufarbeiten. Es ist die Aufgabe von gewählten Vorständen, sich der Bedeutung von Awarenessarbeit bewusst zu sein und Awareness-Teams und -kommissionen nach Kräften zu unterstützen.

Begriffserklärung:
Awarenessbeauftragte/Awarenesskommission: Sie organisieren die strukturelle Awarenessarbeit auf Verbandsebene insbesondere durch Angebote für Weiterbildungen, Bereitstellung von Awareness-Teams für Veranstaltungen und die Begleitung der Aufarbeitung von diskriminierendem Verhalten. Sie sind auch außerhalb von Veranstaltungen stetig ansprechbar und können die bei den Awareness-Teams beschriebenen Aufgaben übernehmen.

Awareness-Teams: Sie kümmern sich um die Awarenessarbeit auf Veranstaltungen. Sie sind ein reaktives Team, dass auf oder im Nachgang einer bestimmten Veranstaltung ansprechbar für alle Menschen ist, die sich im Rahmen der Veranstaltung diskriminiert gefühlt haben. Ihre Rolle dabei ist es, die diskriminierten Personen in deren Ermessen und Wunsch im Umgang mit der Diskriminierung zu unterstützen. Zudem ist es ihre Aufgabe diskriminierendes Verhalten gegen Personengruppen festzustellen und sich klar gegen dieses zu Positionieren.

Kommunikation nach außen
Sozialistisch, feministisch, antifaschistisch, internationalistisch – mit unseren Grundwerten definieren wir uns Jusos auf unseren Social-Media-Kanälen und darüber hinaus. Um auch hier für mehr Sichtbarkeit der queeren Community zu sorgen, ändern wir bis Ende 2023 in allen Messengern, auf unserer Homepage und auf möglichen anderen digitalen Formaten das Adjektiv „feministisch“ zu „queerfeministisch“, sofern es der Selbstbeschreibung dient. Ähnlich verhält es sich mit allen Druckerzeugnissen, die in Zukunft mit diesen Adjektiven versehen sein sollen. Auch wollen wir unser queerfeministisches Selbstverständnis in der gesprochenen und geschriebenen Sprache widerspiegeln

Intersektionaler Queerfeminismus bei der SPD
Die Jusos setzen sich innerhalb der SPD dafür ein, dass diese sich zu einem intersektionalen Queerfeminismus bekennt und dieser nicht nur theoretisch, sondern auch in der praktischen Umsetzung gelebt wird. Dazu gehört, dass innerhalb der Partei ein Bewusstsein für Diskriminierungserfahrungen von Frauen, inter, nichtbinären und trans Personen sowie für die Bedeutung von Intersektionalität geschaffen wird. Zudem fordern die Jusos, dass die SPD sich klar gegen jegliche Form von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts positioniert und gegen diskriminierendes Verhalten konsequent vorgeht. Auch die SPD soll dabei die Weiterbildung zum Thema intersektionaler Queerfeminismus in ihren eigenen Strukturen stärken und die Sensibilisierung ihrer Mitglieder voranbringen. Die Teilnahme an solchen Veranstaltungen muss auch innerhalb der SPD eine Konsequenz für diskriminierendes Verhalten sein.

Zudem wollen wir als Jusos aktiv mit Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreisen zusammenarbeiten, die sich bereits für die Ziele und Interessen von marginalisierten Gruppe einsetzen. In und mit diesen Gruppen werden wir uns für das Konzept des intersektionalen Queerfeminismus stark machen und uns für eine stärkere Repräsentation von marginalisierten Gruppen innerhalb der Partei einsetzen. Ziel ist es dabei, eine vielfältige und inklusive Parteikultur geschaffen werden, in der sich alle Mitglieder sicher und respektiert fühlen und sich aktiv einbringen können.

Wir fordern alle Jusos auf, sich für diese Forderungen und einen intersektionalen Queerfeminismus einzusetzen und diesen als Grundlage für unsere politische Arbeit zu nutzen. Nur wer Alle mitdenkt und aufhört diskriminierte Gruppen gegeneinander auszuspielen, wird es schaffen, Machtstrukturen abzubauen und eine gerechtere Welt zu schaffen, in der Alle gleiche Chancen und die Möglichkeit auf Teilhabe besitzen.

Begründung

erfolg mündlich