Herr Fischer, Herr Fischer wohin treibt uns die Strömung? 2.0

Strömungen können in ihrer jetzigen Form nicht dem Demokratie- und Transparenzanspruch einer sozialistischen Jugendorganisation genügen. Kommunikationsstrukturen funktionieren nicht und das wohl kalkuliert. Alle Mitglieder eines Landesverbandes werden über einen Kamm geschoren und einer Strömung zugerechnet – dies wird der Vielfalt unseres Verbandes nicht gerecht.

Strömungsabsprachen und Beschlusslagen können sich widersprechen. Auf dem Bundeskongress hat die „inoffizielle“ Absprache der Strömungen bzw. der Gesamtlinken häufig mehr Gewicht als demokratisch gebildete Beschlusslagen des Landesverbandes – obwohl bei den Strömungen nur wenige nicht hinreichend legitimierte Jusos agieren.

Ein Verband ohne Strömungen oder strömungsartige Strukturen ist sehr schwer zu erreichen und bedarf hoher Selbstdisziplin sowie stabiler institutioneller Prinzipien. In der politischen Realität wird es immer so sein, dass Einzelpersonen, Delegationen oder Landesverbände versuchen sich zusammentun, um ihr Personal und ihre Inhalte durchzusetzen. Wir wollen dem jedoch entgegen wirken und einige positive Veränderungen des kaputten Systems in die Wege leiten. Wir wünschen uns eine breite Diskussion innerhalb des Verbands, die Lösungen zu Problemen suchen, um Strömungen stetig verbessern zu können.

Absprachen, Kompromiss- und Konsensfindung gehören auch für uns zum politischen Alltag und sind innerverbandlich notwendig, jedoch sind dafür demokratische, beteiligende und transparente Prozesse zwingend erforderlich. Im Idealfall bedeutet das, dass sich je Antrag und Personalie neue Mehrheiten und Absprachen finden können.

Wir fordern die Bekanntgabe aller Strömungstreffen. Wir erwarten die Vorab-Bekanntgabe einer Tagesordnung, inklusive aller Behandlungsgegenstände. Im Weiteren sollen die Treffen protokolliert und dokumentiert werden – dies umfasst im Besonderen Absprachen zu Inhalten und Personal sowie die Teilnehmenden. Einladung, Tagesordnung und Protokolle sollen allen Juso-Mitgliedern auf geeignete Weise zugänglich gemacht werden, dies kann bspw. durch Veröffentlichung passieren. Absprachen und Kompromisse müssen mit den entsprechenden Landesgremien umfänglich rückgekoppelt werden.

In Vorbereitung zum Bundeskongress sind transparente, dokumentierte, für alle offene Veranstaltungen ersatzweise als Alternativen zu bisherigen Strömungstreffen denkbar, bei denen Antragsteller:innen und Kandidierende Fragen beantworten, Standpunkte diskutieren und auf die vielfältige Themensetzung bzw. diverse Gremienzusammensetzung beim Bundeskongress hinwirken.

Im gesamten Bundesgebiet herrscht große Unwissenheit über die aktuellen Strukturen. Durch geeignete Informations- und Vernetzungsformate, Veröffentlichungen sowie die Nutzung von sozialen Medien wollen wir zur Aufklärung beitragen. Wir wollen darauf hinwirken, dass auch kleinere Strukturen bis hin zum Basismitglied sich unterschiedlichen Strömungen zugehörig fühlen können. Dafür ist es notwendig, dass die Strömungen durchlässiger werden. Stabile Machtverhältnisse mögen kurzfristig attraktiv wirken, schaden aber langfristig der innverbandlichen Willensbildung.

Wir sehen die Rolle von Vernetzung primär bei inhaltlichen Themen und Meinungsbildung und Vernetzung, ähnlich des Verfahrens innerhalb der SPD.

Wir beauftragen unseren Unterbezirksvorstand, unsere Landesvorstandsmitglieder, unsere LDK-Delegation sowie die Landesausschuss-Delegierten auf die Umsetzung des Beschlusses hinzuwirken. Dazu wollen wir mit eigenem Personal aktiv in den vorhandenen Strömungsstrukturen mitwirken. Auf der nächsten Wahl-Vollversammlung werden wir unseren Beschluss und dessen Ergebnisse erneut evaluieren. Wir behalten uns vor Möglichkeiten zum Strömungsaustritt auf Landesebene anzustreben.

Begründung

Auf der Vollversammlung am 9. Juli 2021 ist folgender Fragenkatalog beschlossen worden. Die Beantwortung erfolgt mit der Begründung zum Fortsetzungsantrag.

I. Analyse der aktuellen Situation

1. Wer organisiert sich in welcher Strömung und warum?

Eine gute Zusammenfassung bietet der Wikipedia-Artikel zu den Jusos: https://de.wikipedia.org/wiki/Jusos#Str%C3%B6mungen. Die Strömungen sind auf Landesebene organisiert und Sachsen gehört zu den Traditionalist:innen (Tradis). Es gibt drei Strömungen: Tradis, Netzwerk Linkes Zentrum (NWLZ) und Pragmatische Linke (PL). Darüber hinaus gibt es strömungsfreie Verbände. Der Hauptgrund sich in Strömungen zu organisieren, scheint der Einfluss- und Machterhalt zu sein. Es gibt historische Gründe, die sich darin begründen, dass die PL regierungs- bzw. schrödernah war, das NWLZ dem menschenfreundlichen Kapitalismus zugeneigt war und die Tradis dem Kapitalismus abgeneigt. Die Grenzen sind über die Jahre zunehmend verschwommen, so dass NWLZ und Tradis seit vielen Jahren über die Gesamtlinke (GL) zusammenarbeiten und sich gegenüber der PL insbesondere durch unterschiedliche Ansätze in der Gleichstellungspolitik abgrenzen.

2. Warum gehört Sachsen als Landesverband zu den „TraditionalistInnen“ (Tradis)?

Es gibt keinen gemeinsamen, bekannten Grundwerte-Katalog. Es gibt eher einen historisch regionalen Bezug, weil die Ostlandesverbände gemeinsam von den Tradis akquiriert worden sind. Sachsen ist Ende der 2000er den Tradis beigetreten, um beim Personaltableau im Bundesvorstand mitzumischen. Seitdem hat Sachsen vier stellvertretende Bundesvorsitzende gestellt. Im Weiteren können über die Tradis Einfluss Mehrheiten für Tagesordnung und Anträge organisiert werden.

3. Was sind die Grundwerte der einzelnen Strömungen?

Es gibt keine öffentlichen Bekenntnisse zu spezifischen Grundwerten abseits der allgemeinen Juso Grundwerte Sozialismus, Feminismus und Internationalismus. Die historischen Unterschiede sind in Frage 1 beantwortet. Im Weiteren würde eine zu starke inhaltliche Schärfung der Strömungen unter Umständen zur innerverbandlichen Zerfaserung mit Abgrenzungbestregungen untereinander führen.

4.Wie organisieren sich die Strömungen?

Strömungen sind über die Landesebene organisiert. Formal sollen Landesvorstände zu Strömungstreffen entsenden, in der Praxis nehmen diese Aufgabe in Sachsen die Landesvorsitzenden in Eigenregie wahr.

4.1. Wer trägt welche Verantwortungen?

Die Strömungstreffen selbst werden durch Strömungskoordinator:innen organisiert. Diese übernehmen auch die Außenvertretung gegenüber den anderen Strömung und dem Bundesvorstand. Bei den Tradis gibt es drei Strömungskoordinator:innen: jeweils eine Person für die Ost-Bundesländer, Bayern und den Südwesten (bestehend aus Rheinland-Pfalz, Saarland und Hessen-Süd). Die aktuelle personelle Besetzung ist nicht bekannt.

4.2. Wo und mit welchem Zweck finden Treffen statt?

Ort und Zeitpunkt der Treffen sind unbekannt. Die Treffen scheinen zwischen den Landesverbänden zu rotieren und nehmen im Vorfeld eines Bundeskongresses an Häufigkeit zu. Das Ziel sind insbesondere personelle, aber auch inhaltliche Absprachen für die Bundesebene. Es werden feste „Tickets“ gebildet, die die Delegationen auf dem Bundeskongress wählen bzw. abstimmen sollen. NWLZ und Tradis schließen sich dabei in weiteren Treffen zur Gesamtlinken zusammen und stellen gemeinsam eine bequeme Mehrheit auf dem Bundeskongress.

4.3. Wie finanzieren sich diese?

Der jeweils einladende Landesverband trägt die Verantwortung der Finanzierung.

II. Bewertung der Situation

Ist die derzeitige Organisation in Strömungen mit den Grundwerten und Idealen der Jusos, der Jusos Sachsen oder der Jusos Dresden vereinbar?

Durch die Intransparenz, die fehlende Öffentlichkeit und fehlende Beteiligungsoptionen widerspricht die derzeitige Arbeitsweise der Strömungen den Grundwerten der Jusos Dresden im Kern.

III. Analyse der möglichen Handlungs- und Gestaltungsoptionen

1. Wie kann die Arbeit der Strömungen transparenter und damit demokratischer gestaltet werden? Wie kann die Mitgliedschaft besser in Entscheidungsprozesse einbezogen werden?

Eine demokratischere und transparentere Arbeit der Strömungen kann erreicht werden, in dem die Treffen frühzeitig unter einer Tagesordnung und konkreten Behandlungsgegenständen bekannt gegeben werden. Es muss Protokolle und nachvollziehbare Wege zu Entscheidungen geben.

In der vergangenen Legislatur haben wir versucht, über den Landesausschuss Berichte aus den Strömungen in den Landesverband zu tragen. Mangels Beteiligung durch die jeweiligen unterschiedlichen Landesspitzen ist uns dies jedoch nicht gelungen. Ob dies im Weiteren gelingt, hängt stark vom guten Willen der Landesvorsitzenden sowie den weiteren Teilnehmenden der Strömungstreffen und den Strömungskoordinator:innen ab, da sie die alleinige Informationshoheit besitzen. In den vergangenen Jahren war der Informationsverlust dabei extrem hoch.

Wir haben versucht, die BuKo-Delegation für den Landesverband über den Landesausschuss zu öffnen, dies ist jedoch mehrfach gescheitert.

2. Ist es für Sachsen eine Option keiner Strömung oder einer anderen Strömung anzugehören?

Diese Frage kann zum aktuellen Zeitpunkt nicht beantwortet werden. In der Berichtsgruppe besteht keine Einigkeit über die Bewertung der Handlungsoptionen:

  • die Strömung zu wechseln,
  • eine neue Strömung aufbauen oder
  • keiner Strömung anzugehören.

Einigkeit besteht darüber, dass ein Ausstieg aus dem Strömungssystem als Einzelverband nicht zum Zusammenbruch des Systems führen wird. Ein Austritt wäre konsequent, aber im Alleingang nur von symbolischer Kraft. Der Aufbau einer neuen unabhängigen, demokratischen und transparenten Struktur wäre mit einem extremen Kraft- und Zeitaufwand verbunden.

In der kurzfristigen Perspektive erscheint es sinnvoll zu versuchen, vorhandene Strukturen von innen zu reformieren und andere Unterbezirke über das kaputte System aufzuklären.