13. Februar 2021

Die Jusos Dresden haben am 13. Februar eine Kundgebung auf dem Altmarkt angemeldet. Die Kundgebung prangerte den schon in der Nazizeit propagandistisch geprägten Opfermythos der „unschuldigen Stadt Dresden“ an. Dieser Opfermythos wird jedes Jahr durch alte und neue Nazis genutzt, um in Dresden ihre Ideologien vor schöner Kulisse zu verbreiten. Die Dresdner Versammlungsbehörde hatte angesichts einer parallel stattfindenden rechtspopulistischen Veranstaltung nur eine Lautsprecherbeschallung bis 21 Uhr mit Ausrichtung auf die Schlossstraße genehmigt. Dagegen wurde Widerspruch beim Verwaltungsgericht eingelegt, dieser wurde jedoch ignoriert.

„Offenbar gibt es Grundrechtsschutz in Sachsen nur werktags 8-14 Uhr. Als politische Versammlung haben wir ein Recht darauf, gerade im Angesicht des nötigen Abstands zum Infektionsschutz uns auch über größere Entfernungen bemerkbar zu machen. Gerade vor dem 13. Februar muss auch dem Dresdner Verwaltungsgericht klar sein, dass es sich nicht Freitag 14 Uhr ins Wochenende verabschieden kann.“
Zoe Olschewski
Anmelderin der Kundgebung

Was sind die Probleme?

Ausgangspunkt ist das Beschallungsverbot für unsere Veranstaltung am 13. Februar auf dem Altmarkt ab 19 Uhr. Laut Auflagenbescheid war es ab 21 Uhr nicht mehr erlaubt, die eigene Veranstaltung mit elektrischer Verstärkung zu beschallen. Dagegen haben wir gemeinsam mit unserem Anwalt einstweiligen Rechtsschutz per Eilverfahren beim Dresdner Verwaltungsgericht beantragt.

Nachdem uns der Auflagenbescheid am 12. Februar gegen 13 Uhr erreicht hat, wurde unser Widerspruch um 17 Uhr per besonderem elektronischem Anwaltspostfach eingereicht. Dieser wurde vom Verwaltungsgericht jedoch ignoriert, da ihr elektronisches Postfach nur werktags von 8-14 Uhr abgerufen wird. Grundrechtsschutz gibt es in Sachsen also nur in diesen Zeiten.

Da am 13. Februar vor Ort keine Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorlag, haben wir uns an die Auflagen gehalten und ab 21 Uhr das Spielen von Musik auf unserer Beschallungsanlage eingestellt. Jedoch hat die Versammlungsbehörde die Auflagen stetig erweitert und auch die Nutzung von akustischen Musikinstrumenten und per ursprünglichem Bescheid erlaubte Ordnungsdurchsagen verboten.

„Das Versammlungsrecht gehört zu den grundlegenden Rechten in unserer Demokratie. Gegen eine ungerechtfertigte Einschränkung muss man sich auch dann noch wehren können, wenn man erst Freitagnachmittag von Versammlungsauflagen erfährt. Für die sächsische Justiz ist das Internet scheinbar nicht nur Neuland, sondern Terra incognita. Wir fordern hier Aufklärung durch die Justizministerin.“
RA Michael Sturm
Prozessbevollmächtigter für die Jusos Dresden

Was passiert jetzt?

Gemeinsam mit unserem Anwalt werden wir eine sogenannte Fortsetzungsfeststellungsklage anstreben, um auch für künftige Demonstrationen die Beschallungsauflagen zu klären. Außerdem setzen wir uns dafür ein, dass die Möglichkeiten für eilbedürftigen und einstweiligen Rechtsschutz ausgeweitet werden und Grundrechte nicht nur werktags von 8-14 Uhr garantiert sind.

Hintergründe

Chronologischer Ablauf

  • Montag, 1. Februar
    Anmeldung der Kundgebung am Kulturpalast durch die Jusos
  • Dienstag, 2. Februar
    Bestätigung des Eingangs der Versammlungsanzeige
  • Montag, 8. Februar
    Korrektur des Versammlungsortes durch die Jusos zur Westseite des Altmarkts
  • Freitag, 12. Februar, 13:00 Uhr
    Erhalt des Bescheids, inkl. Verbot der elektrisch unterstützten Beschallung ab 21 Uhr (außer für Ordnungsdurchsagen). 
  • Freitag, 12. Februar, 17:00 Uhr
    Einreichen des Teil-Widerspruch beim Verwaltungsgericht (einstweiliger Rechtsschutz) gegen Teil des Auflagenbescheids, insb. das Verbot der elektrisch verstärkten Beschallung ab 21 Uhr.
  • Samstag, 13. Februar, 14:00 Uhr
    Nachhaken im Verwaltungsgericht
  • Samstag, 13. Februar, 19:00 Uhr
    Polizei hat keine Kenntnis über den Teil-Widerspruch und wird von unserem Anwalt darüber informiert.
  • Samstag, 13. Februar, 19:15 Uhr
    Beginn der Kundgebung, inkl. zusätzlicher Genehmigung für den Verbleib des  Transportfahrzeugs für die Beschallungsanlage auf der Versammlungsfläche.
  • Samstag, 13. Februar, 20:45 Uhr
    Es liegt keine Entscheidung des Verwaltungsgerichts vor. Die Versammlungsbehörde erklärt, es sei kein Widerspruch eingegangen.
  • Samstag, 13. Februar, 21:00 Uhr
    Die Musik aus der Beschallungsanlage wird abgeschaltet. Nicht elektrisch verstärkte Musikinstrumente werden weiterhin verwendet.
  • Samstag, 13. Februar, 21:05 Uhr
    Die Verwendung von Musikinstrumenten wird von der Versammlungsbehörde zusätzlich untersagt. Dem Verbot wird nachgekommen.
  • Samstag, 13. Februar, 21:10 Uhr
    Zur Aufrechterhaltung der Ordnung auf der Veranstaltung wird der Auflagenbescheid über die elektronische Beschallungsanlage verlesen.
  • Samstag, 13. Februar, 21:15 Uhr 
    Elektronisch unterstützte Ordnungsdurchsagen werden von der Versammlungsbehörde unter Androhung der Beschlagnahmung der Beschallungstechnik untersagt.
  • Samstag, 13. Februar, 22:00 Uhr
    Die Versammlung wird ordnungsgemäß beendet, um die Ausgangssperre einzuhalten.
  • Montag, 15. Februar
    Das Verwaltungsgericht erklärt, dass das „besondere elektronische Anwaltspostfach“ nur werktags von 8-14 Uhr gelesen wird. Unser Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (Teil-Widerspruch gegen den Auflagenbescheid) ist damit hinfällig.
  • Dienstag, 30. März
    Uns werden die Kosten für „das Verfahren“ in Höhe von 486,00 € in Rechnung gestellt. Ein Widerspruch erscheint aussichtlos.

Warum haben wir die Veranstaltung durchgeführt?

Die Jusos Dresden wollten am 13. Februar von 19-22 Uhr eine Kundgebung am Altmarkt durchführen. Grund hierfür waren die jährlich stattfindenden Neonazi-Demonstrationen. Rechtsradikale bis Rechtsextreme instrumentalisieren die Bombardierung Dresdens im Jahr 1945 um Deutschland vom Täter zum Opfer umzudeuten.

Auch die AfD möchte den Opfermythos wieder stärken und steht den Neonazis der 90er Jahre in einigen Aussagen in nichts nach. So sprach AfD-Sprecher Tino Chrupalla im Zusammenhang mit der Bombardierung Dresdens vom “Bombenterror”, einer Wortwahl die schon Joseph Goebbels nutzte, um über Dresden zu sprechen und später von den Neonazis der 90er und 2000er Jahre adaptiert wurde.[1] Dabei wird auch immer wieder Dresden als unschuldige Stadt voller Flüchtlinge dargestellt. Die Wahrheit ist, dass Dresden ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt war. Außerdem gab es in der Stadt viel Rüstungsindustrie sowie andere für den Krieg essentielle Produktion, wie der Historiker der TU Dresden Johannes Schütz anmerkt.[2] Dresden war also alles andere als eine unschuldige Stadt und die Angriffe der Alliierten waren keineswegs nur darauf aus, Zivilisten zu töten und Wohngebäude zu zerstören. Eine weitere Aussage, die Chrupalla von Goebbels und den konventionellen Neonazis übernimmt, ist die völlig übertriebene Opferzahl. Angesehene Historiker kommen zum Schluss, dass etwa 20.000 bis 25.000 Menschen durch die Bombenangriffe gestorben sind, die AfD vervierfacht diese Zahl um den Opfermythos zu stärken.[2] Der sachsen-anhaltische AfD-Landtagsabgeordnete Mario Lehmann ging sogar noch einen Schritt weiter und setzte die Bombardierung Dresdens mit dem Holocaust gleich.[3]

Solche unglaublichen Versuche der Geschichtsrevision wollen wir nicht unkommentiert lassen.